Was für Omega die Speedmaster und für Breitling die Navitimer ist, ist für Nomos die Tangente. Heute schauen wir uns den Klassiker aus Glashütte einmal genauer an und klären, für wen diese besondere Uhr geeignet ist.
Die Watches & Wonders 2023 ist noch nicht so lange her und wir alle erinnern uns bestimmt an den ein oder anderen interessanten Release. Dass das Neue immer seinen Reiz hat, ist verständlich und menschlich. Doch dann sind da auch immer noch die Uhren, die es irgendwie schon immer gab. Die manchmal, vielleicht genau deshalb, schnell übersehen werden bei all den spektakulären Neuvorstellungen. Die Nomos Tangente (Referenz: 189) ist genau so eine Uhr. Hast du dich einmal ernsthaft mit ihr auseinandergesetzt? Ich würde die schöne italienische Espressomaschine bei uns im Berliner Geschäft darauf verwetten (sorry Kollegen!), dass das nicht der Fall ist. Gleiches gilt aber auch für mich und deshalb nähern wir uns diesem ikonischen Zeitmesser heute gemeinsam an.
Dass die Tangente-Kollektion für den deutschen Hersteller Nomos Glashütte nicht einfach irgendein Modellreihe ist, wird schon auf der Website deutlich. Dort steht in fetten Lettern folgendes geschrieben: “Sie ist Nomos Glashütte: Tangente, jene runde Uhr mit den vielen rechten Winkeln, verkörpert die Glashütter Manufaktur wie keine zweite. Seit über 30 Jahren ist Tangente unsere meistgebaute, meistverkaufte Uhr. Ein Klassiker fürs Handgelenk.” In Glashütte, dem Uhrenmekka von Deutschland, ist die vom Bauhaus-Stil geprägte Tangente also längst ein Star. Ob sie auch in deiner und meiner Uhrenbox landet? Das werden wir am Ende des Reviews sehen… Los geht´s aber wie immer mit den technischen Daten.
Uhrwerk
Werk: Automatikaufzug
Kaliber: DUW 3001
Gangreserve: 43 Stunden
Funktion: Kleine Sekunde
Gehäuse
Material: Edelstahl
Durchmesser: 35 mm (bzw. 39 mm)
Höhe: 6,9 mm
Gehäuseboden: Glasboden
Wasserdichtigkeit: 30 Meter
Krone: unverschraubt
Glas: Saphirglas (innen entspiegelt)
Farben: platingrau
Stundenskala: Arabische Ziffern und Indizes
Zeigermaterial: Edelstahl
Materialien: Leder
Farbe: schwarz
Anstoßbreite: 18 mm
Schließe: Dornschließe
Nach dem Fall der Mauer war es der Unternehmer Roland Schwertner, der Nomos Glashütte zu neuem Glanz verhalf. Der Markenname existierte schon 1906, als ein gewisser Clemens Guido Müller und dessen Schwager Karl Nierbauer einen Import und Vertrieb von Schweizer Zeitmessern mit der Zusatzsignatur Glashütte ins Leben riefen. Doch aufgrund einer rechtlichen Auseinandersetzung mit etablierten Uhrenmarken kam es schon 1910 zu einem Vergleich und dem Ende des ersten Kapitels der Uhrenmarke.
1990 erkannte Schwertner zunächst das Marktpotenzial für deutsche Armbanduhren aus dem sächsischen Glashütte, hauchte Nomos Glashütte daraufhin wieder Leben ein und stellte 1992 schließlich die erste Tangente vor. Schon damals verfolgte die Uhr das Ziel, mit klaren Linien und einem minimalistischen Design im Bauhaus-Stil Zeitlosigkeit auszustrahlen. Von Beginn an sollte die Tangente zudem von Männern und Frauen getragen werden können. Entworfen wurde die Uhr von der renommierten deutschen Industriedesignerin Susanne Günther. Als Orientierung für die Tangente diente ihr übrigens eine Armbanduhr aus den 1930er-Jahren.
In der Anfangszeit soll das heutige Erfolgsmodell, das mit dem Handaufzugswerk Peseux 7001 von ETA ausgestattet war, kein Kassenschlager gewesen sein. Allerdings änderte sich dies mit der Zeit und die Tangente wurde zu einer Uhr, die bis heute unweigerlich mit Nomos Glashütte in Verbindung steht. Dabei setzte der Hersteller auf die stetige Weiterentwicklung der eigenen Technologie, schuf Manufakturwerke mit Hand- und Automatikaufzug und unterschiedliche Varianten sowie Größen des Bestsellers.
Das Design der Nomos Tangente folgt dem Bauhaus-Stil, der auf das Jahr 1919 zurückgeht. Damals gründete Walter Gropius das “Staatliche Bauhaus in Weimar”, eine Schule für Kunst und Architektur. Es war der Grundstein für eine Stilrichtung, die als schlicht und schnörkellos beschrieben werden kann, ohne jedoch auf gestalterische Merkmale zu verzichten. Der Bauhaus-Stil stützt sich auf geometrische Formen und Flächen wie Quadrate, Rechtecke, Kreise und Dreiecke. Über all dem steht der Leitspruch: Die Form folgt der Funktion. Oder anders gesagt: Weniger ist mehr.
Ein Blick auf die Tangente verrät, dass sie wie wohl keine andere Armbanduhr diesen Stil verkörpert. Ihr gesamtes Design ordnet sich einem großen Ziel unter: der perfekten Ablesbarkeit der Uhrzeit. Die Nomos Tangente hat keine Lünette, kein Datum, keine Leuchtmasse auf Indizes und Zeigern, keine verschraubte Krone, keine Gangreserveanzeige, wenig Schrift auf dem Zifferblatt und erst recht kein aufwendiges Gehäusefinish. Walter Gropius würde sich über diese Auflistung an Abstrichen sicher wundern und verdutzt fragen: “Wozu all das, wenn die Uhrzeit auch ohne diese Merkmale abgelesen werden kann?” In gewisser Weise hat er damit ja auch Recht.
Was das Design der Uhr dagegen einzigartig macht, sind die rechten Winkel, die sich zum Beispiel in der Form der unglaublich grazilen Hörner wiederfinden. Aber auch die schnörkellose Serifenschrift auf dem ebenfalls unauffälligen platingrauen Zifferblatt sowie die strichartigen, rhodinierten Zeiger erscheinen minimalistisch. Gefesselt wird das Auge lediglich von den Ziffern 12, 2, 4, 8 und 10, die auf das Blatt gedruckt sind, und der kleinen Sekunde auf 6 Uhr, die eine Vertiefung aufweist. Die geringe Bauhöhe von nur 6,9 Millimetern sorgt für einen zugleich stimmigen und auf das Wesentliche reduzierten Gesamtauftritt. Bei der Verarbeitungsqualität gibt es keinen Anlass zur Kritik. Ich habe mir die Nomos Tangente unter dem Makroobjektiv angeschaut und keine Auffälligkeiten entdeckt. Jedes Detail ist makellos und wird dem Anspruch einer Einsteiger-Luxusuhr in diesem Preissegment gerecht.
Das Prachtstück der Uhr ist das hauseigene Manufakturwerk DUW 3001 mit 43 Stunden Gangreserve. Es ist mit einer Höhe von 3,2 Millimetern extrem flach, effizient und zugleich sehr präzise. Dafür ist das von Nomos selbst entwickelte Swing-System verantwortlich, das als das Herz des Uhrwerkes fungiert und für den richtigen Takt sorgt. Zugleich hält das Kaliber viele Eigenschaften bereit, die charakteristisch sind für ein Werk aus Glashütte. Dazu zählt eine Dreiviertelplatine, rhodinierte Oberflächen mit Streifenschliff und Nomos-Perlage sowie gebläute Schrauben. Bei so viel Schönheit ist es nur verständlich, dass Nomos die Tangente mit einem Saphirglasboden und sogar einem skelettierten Rotor ausgestattet hat, der den Blick auf das Automatikwerk weitestgehend freigibt.
Die Nomos Tangente ist nicht groß, durch ihre grade aus dem Gehäuse herausragenden Hörner jedoch sehr lang. Genauso präsentiert sich die Uhr auch am Handgelenk. Auf dem Foto trage ich die 35-Millimeter-Variante an meinem Arm und diese passt mir recht gut. Grundsätzlich würde ich dir bei der Tangente immer dazu raten, sie vor dem Kauf einmal anzulegen. Wenn du normalerweise Uhren mit einem Durchmesser von 39 bis 40 Millimetern trägst, wird die “kleine” Tangente mit 35 Millimetern für dich garantiert eine gute Wahl sein. Solltest du in der Regel jedoch Zeitmesser mit einem Durchmesser von 42 oder 43 Millimetern favorisieren, reicht die Version mit 39 Millimeter Durchmesser sehr wahrscheinlich aus. Es gibt die Tangente in vielen Größen und Varianten, sodass für jeden der richtige Zeitmesser dabei sein sollte. “Weniger ist mehr” könnte aber auch bei Nomos ein gutes Motto sein.
Ansonsten fühlt sich die Uhr am Handgelenk sehr bequem an. Dazu trägt auch die geringe Bauhöhe, das angenehme Gewicht und das Lederarmband bei. Die Tangente erinnert mich etwas an meine Omega Seamaster Vintage, die ich im Alltag auch gerne trage, weil sie so unprätentiös ist und unter dem Radar fliegt. Diese Nomos setzt dem die Krone auf und ist Understatement pur! Eine Tangente will nicht auffallen, wie es beispielsweise eine vollgoldene Rolex Day-Date tut. Sie will nicht bewundert werden und erst recht will sie keinen Neid auf sich ziehen. Eine Tangente ist einfach da; zeitlos, schlicht und ohne eine wirkliche Aussage über ihren Träger zu treffen. Und dennoch ist sie durch die Verkörperung des Bauhaus-Stils nicht beliebig.
Die Ablesbarkeit der Uhrzeit ist beim Tragen übrigens wirklich stets gegeben. Einerseits liegt das an dem schönen und übersichtlichen, mattgrauen Zifferblatt. Anderseits aber auch am einseitig entspiegelten Saphirglas, das zeitweise zu verschwinden scheint und den Eindruck erweckt, mit dem Finger direkt das Zifferblatt und die Zeiger berühren zu können. Dieses Gefühl kenne ich sonst nur von Breitling und IWC.
Meiner Meinung nach ist die Nomos Tangente eine tolle Uhr. Und nicht nur das! Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass sie in ihrem Preissegment mit großem Abstand das schönste Uhrwerk bietet. Wenn ich durch den Glasboden auf das Kaliber DUW 3001 blicke, denke ich an höchste deutsche Uhrmacherkunst für unter 3.000 Euro. Dieser Fakt ist in meinen Augen ein absolutes Alleinstellungsmerkmal von Nomos Glashütte. Dazu zähle ich auch diese Unaufgeregtheit, die die Uhr verkörpert. Doch für wen ist die Tangente denn nun genau der richtige Zeitmesser? Wenn ich meine Augen schließe und an den Archetyp des Tangente-Trägers denke, lande ich schnell bei einem Innenarchitekten oder einem technischen Zeichner. Selbstverständlich sind das nur Klischees.
Ich glaube, dass die Tangente zunächst für all jene eine gute Wahl ist, die sich mit dem Bauhaus-Stil identifizieren. Sie spricht aber auch Menschen an, die zwar eine hochwertige Armbanduhr besitzen möchten, jedoch keine klassischen Sammler sind und diese eine Uhr jeden Tag zu tragen gedenken. Und dann wäre da noch der Werbeslogan eines Automobilherstellers, der mir nicht aus dem Kopf geht und die Zielgruppe dieser Uhr eigentlich perfekt zusammenfasst. Etwas umformuliert lautet er wie folgt: Die Tangente ist das Statussymbol für alle, die kein Statussymbol brauchen.
Ob die Nomos Tangente in deine Sammlung Einzug hält, hätten wir damit geklärt. Und was ist mit mir? Die Uhr hat mich überrascht und sie hat mir auch gefallen an meinem Handgelenk. Ich bin mir aber sicher, dass auch du dieses Gefühl kennst, dass dir etwas gefällt und du gleichzeitig merkst, dass es trotzdem nicht zu dir passt. So geht es mir (leider) mit der Tangente. Ich mag es, wenn meine Uhren etwas über mich und meinen Charakter verraten – selbst dann, wenn sie eine vermeidliche Schattenseite aufdecken. Ich bin emotional, trage manchmal ausgefallene Klamotten und probiere gerne neue Dinge aus. Die Tangente ist rational, schlicht und gradlinig. In einer Dating-App hätten wir sehr wahrscheinlich nicht gematcht. Und trotzdem können wir doch einfach Freunde bleiben.